Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Inselurlaub auf Poel 2022
12.09. - 21.09.2022
1. Strand & Sandbänke
Mehr als dreißig Monate Pandemie! Dreißig lange Monate Einschränkungen, Regelungen, Impfungen sowie Wirrungen
sind fast vergangen. Das hat einiges verändert, auch mich. Als sich die Regentschaft von King Covid XIX. auf dem
Globus ankündigte, ließ ich mir, nach vielen Jahrzehnten morgendlicher Schönheitsrasuren, wieder einen Vollbart
wachsen. Aus lauter Protest gegen diesen unerwünschten Herrscher, aus purer Bequemlichkeit und als äußeres Zeichen
von Trauer. Nach wundervollen langen sechzehn gemeinsamen Jahren war die Zeit des Abschiednehmens von unserer
geliebten Hundelady Lily gekommen. Das tat sehr weh, zumal in den Tagen extremer Einschränkungen.
Nun scheint die Pandemie ein Ende zu finden, da kommt dieser kleine russische Wladimir aus seinem Loch gekrochen
und spielt Größenwahnsinn. Also rutscht nun auch ein ganzes Weltbild in Schieflage, inklusive meinem eigenen. Ich
fühle mich geschubst, ziemlich ausgelaugt, älter geworden sowieso und ziemlich unmotiviert. Alles in mir schreit nach
Ruhe und viel Abstand. Ich will keine Nachrichten hören, an keinen Diskussionen teilnehmen, keinen Klugscheißern
zuhören und erst recht keine Postings ohne grammatikalische Grundkenntnisse bei Facebook lesen. Außerdem geht mir
die Genter-Erfindung einer einzelnen Emanze auf den Sack! Plural meint alle, auch das Neutrum, das Gentern einfach
ausschließt! Also was soll der Scheiß? Ich will endlich wieder zurück zum Ursprung und auf Null: Wasser, Luft, Erde und
Feuer (für die Rostbratwurst). Eine kleine Insel ist dafür der beste Ort und da will ich wieder hin, zurück auf Poel, dem
Zufluchtsort für Rock-Rentner und Konsorten.
Zur Nachmittagsstunde rollen wir über den Damm auf die Insel und zehn Minuten später vor unsere Ferienwohnung. Ein
feines Anwesen in einem abgelegenen Inselnest am äußersten Zipfel. Wir gehen alsbald zur „Schmugglerbude“ und in
Sichtweite zum Strand schlürfe ich ein erstes Schälchen Heeßen zur Nachmittagsstunde. Nach der Stärkung erlebe ich
die erste Überraschung: Das Wasser ist weit weg! Man erklärt uns, dass sich bei ablandigen Winden das Wasser
zurückzieht und das Baden deshalb ins Wasser fällt. Ich stehe am Strand, bzw. dort, wo er mal war, und schaue auf eine
endlose Fläche von Algen, Steinen und Seegras. Ganz weit hinten leuchtet eine Sandbank hervor mit Möwen und
Reihern darauf. Auch Menschen scheinen dort zu laufen, aber ich möchte nicht bis dorthin durch den Modder waten. Wir
entschließen uns, einen Spaziergang an diesem Strand zu machen. Hinter der Landzunge erinnern wir uns, dass es
einen Weg oberhalb der Steilküste zurück ins Dorf gibt. Am ersten Tag macht der Wind meine Planung zunichte, in der
Ostsee mein erstes Bad zu nehmen. Dieser Abend wird dennoch und auch ohne Schwimmzüge gemütlich ausklingen.
Die Insel hat uns wieder.
In der Nacht hatte es laut hörbar geregnet. Der Morgen überrascht mit Pfützen allerorten und dichten Wolken am
Himmel. Zwei Stunden später löst sich die nasse Überraschung in Wohlgefallen auf. Wir kennen ein stilles Plätzchen am
Strand, das uns lockt. Damals war es dort wunderschön und darauf hoffen wir diesmal auch. Wir fahren nach Kirchdorf
und biegen am Ortsausgang Richtung Neuhof ab. Wenige Minuten später ist der Parkplatz erreicht. Die restlichen
dreihundert Meter müssen wir zu Fuß bis zum Strand bewältigen. Hier begrüßen uns blauer Himmel, blaue See und
weiße Schaumkronen hinter den Sandbänken. Ein perfekter Ort mit einer kleinen rock-historischen Randnotiz(*). An der
Düne finden wir ein lauschiges Plätzchen zwischen Timmendorf und Schwarzen Busch. Kein Strandkorb weit und breit
und nur wenige Strandgänger auf der Suche nach Hühnergöttern oder Fossilen zwischen Kieseln und angeschwemmten
Seetang.
Hinter den Sandbänken tummeln sich Kite-Surfer und bis dorthin muss man, um genug Wasser zum Schwimmen unter
den Füßen zu haben. Das ist ziemlich weit draußen, macht aber viel Spaß, weil auf den Sandbänken das Wasser
höchstens knöcheltief ist. Dazwischen reicht es mir bis zum Bauchnabel und nein, es ist nicht wirklich kalt. Die See hat
den langen Sommer über genug Wärme gespeichert und ich habe große Lust, endlich zu banden. Hinter den
Sandbänken ist es tief genug. Ich lasse mich in die Wellen gleiten und tauche ab. Der Strand ist weit weg, vor mir bis
zum Horizont nur das Meer. Ein tolles Gefühl, endlich in der Ostsee zu baden. Der Rückweg zum Strand ist lang.
Unterwegs treffe ich auf einer Sandbank ganz normale Fußgänger mit den Schuhen in der Hand und einem Hund, dem
es Spaß macht, Möwen zu jagen. So wie damals Lily auch.
Stunden später hat sich die See noch weiter zurückgezogen. Jetzt könnte man von einer Sandbank zur nächsten
„Inselhopping“ versuchen. Einige spazieren tatsächlich auf diese Weise am Strand entlang. Viele führen ihre Hunde mit
und lassen sie im flachen Wasser frei umher tollen. Das sind lustige Bilder mit ganz vielen Erinnerungen, die mich am
Nachmittag bis zum Hafen von Kirchdorf begleiten. Mir ist nach einem leckeren Fischbrötchen. Ich entscheide mich für
Matjes von einer der Buden und lausche nebenbei, genüsslich kauend, den Einheimischen beim Klönen über das
Verhalten von Urlaubern. Sehr interessant, kann ich nur sagen. Danach entscheide ich mich für einen Kurzbesuch bei
einem ehemals sehr bekannten Musiker.
Peter „Pjotr“ Kschentz war der legendäre Allroundkönner der ebenso legendären Klaus Renft Combo und hat hier 2005
seine letzte Ruhestätte gefunden, die ich diesmal ohne langes Suchen sofort finde. Bei meinem ersten Besuch vor drei
Jahren fand ich diesen stillen Ort nicht so schnell (
HIER
). Mein Gott, macht diese Stelle einen jämmerlichen Eindruck,
einer Rock-Legende total unwürdig! Ich stehe vor dem Grab eines Musikers und Hobby-Seemannes, ein echter Typ, wie
es nur wenige gab und gibt. Ich werde in den nächsten Tagen noch einmal zum Friedhof gehen und wenigstens ein
paar Blümchen hierher zu Pjotr bringen, so mein stilles Versprechen.
Der Tag trudelt mit einem Spaziergang rund ums Dörfchen, zumindest um einen Teil davon, aus. Die Vorzeigewiese
eines Einheimischen verleitet uns, zwei Äpfel aufzuheben, einzustecken und mitzunehmen. Inseläpfel schmecken saftig,
zart bitter und rau wie manchmal die See.
* Von diesem Strand starteten die beiden Musiker Eberhard Klunker und Olaf Wegener ihre Flucht mit einem Schlauchboot über die
Ostsee nach Westen.
Fortsetzung
HIER
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